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Brutalist architecture

Die Bezeichnung „Brutalism“ kommt aus der Architektur und steht für einen Stil, bei dem es darum geht Materialien in ihrer reinen und rohen Form als ein eigenes Gestaltungselement zu nutzen und sie, zusammen mit der Konstruktion des Gebäudes in den Fokus zu rücken. Der Begriff „Brutalism“ leitet sich aus dem französischen béton brut ab, was soviel wie „roher Beton“ bedeutet. Er spielt auf die Zurschaustellung der reinen Betonfassaden an, mit dem der brutalistische Architekturstil am häufigsten in Verbindung gebracht wird. Der Begriff ‚Nybrutalism‘ wurde 1949 zum ersten Mal von Architekt Hans Asplund in Schweden benutzt. Er bezog sich dabei auf ein Haus, welches von zwei seiner Zeitgenossen erbaut wurde. Sie nutzten für ein eher unscheinbares Gebäude eine industrielle Ziegeloberfläche. Die Architekten Peter und Alison Smithson übernahmen den Begriff brutalism und wurden bekannt dafür, den Begriff erfunden zu haben, was unter anderem an einem Aufsatz mit dem Titel „The New Brutalism, ethics or asthetics?“ von Reyner Banham lag, der 1955 veröffentlichte und durch den der Begriff allgemein bekannt und etabliert wurde. Ein weiterer berühmter und wichtiger Architekt der zu dieser Zeit für brutalistische Bauwerke bekannt war und als Vater des Brutalism bezeichnet wurde, war der Schweizerische-Französische Konstrukteur Le Corbusier (eigentlich Charles-Édouard Jeanneret-Gris nannte sich aber später selber um). Er gestaltete 1945, noch bevor es den Begriff „brutalism“ gab, das revolutionäre Apartment Gebäude „Unité d‘habitation“ in Marseille, welches jedoch erst 1952 fertig gestellt wurde.


Nach dem Zweiten Weltkrieg war es nötig, neue Gebäude zu errichten, die schnell erbaubar, billig und stabil sind. Sie sollten darüber hinaus genug Platz zum Leben bieten. Zusammen mit dem Modernismus entwickelte sich daraus in den 1950er Jahren der Architekturstil „Brutalism“, welcher sich über die 1960er und 70er Jahre weiter entwickelte. Dieser Architekturstil eignete sich ebenfalls gut für institutionelle und öffentliche Gebäude wie Bibliotheken, städtische Gebäude oder Universitäten.


Nach dem der Krieg vorbei war, begann sich die Sichtweise der Gesellschaft im Hinblick auf Gebäude aus der Vorkriegszeit zu verändern. Die alten und teilweise beschädigten Reihenhäuser aus der viktorianischen und georgischen Zeit, die oft schnell und billig gebaut wurden, standen repräsentativ für viele der sozialen Probleme und Ungleichheiten, die vor dem Krieg herrschten. Die Menschen wollten in eine positive Zukunft blicken. Diese Häuser waren kein Teil dieser positiven Zukunft. Sie wurden nicht nur abgerissen weil sie durch den Krieg beschädigt waren, sondern auch weil sie gehasst und verachtet wurden.


Bei diesem Stil ging es nicht nur um die Gebäude und die Zurschaustellung der Materialien, sondern ebenso sehr um das Gefühl, welches die Bauwerke in den Betrachtern auslösten und die Reaktionen die sie bei ihnen hervor rufen sollten. Als eine der wichtigsten aber am schwersten festzulegenden Charakteristika eines brutalistischen Gebäudes nennt Billy Reading in seinem Buch „Brutalism“ die Ausstrahlung, die ein solches Gebäude hat. Er schreibt, dass brutalistische Gebäude präsent sein müssen und Drama haben. „They dont have to be big, necessarily, but they have to be bold, to intimidate - to live up to their billing; to brutalise.“ (Reading 2018). Sie wirken schwer und so, als würden sie den Gesetzen der Natur trotzen.


Neben dem Charakteristikum eines Gefühls, welches ein brutalistisches Gebäude vermittelt, gibt es noch die folgenden anderen Kriterien, die für den brutalistischen Architekturstil stehen.


2. Brutalistische Gebäude haben sich wiederholende Muster und geometrische Elemente

Viele brutalistische Gebäude enthalten sich wiederholende geometrische Formen und Muster, die sowohl im großen als auch im kleinen Maßstab vorhanden sein können und sich erst im Gesamtbild zu einem Ganzen zusammenfügen. Gut zu erkennen ist das an Gebäuden wie z. B. der Alexandra and Ainsworth Estate (Ebenfalls bekannt unter dem Namen Rowley Way) im Londoner Stadtteil Camden oder den Residential towers in der Barbican Estate.


3. Brutalistische Gebäude sind ehrlich im Bezug zu den verwendeten Materialien

Die Betonfassaden werden nicht verputzt oder gestrichen, sie werden so blank gelassen wie sie verbaut bzw. gegossen wurden. Bei der näheren Betrachtung der Oberflächen der Betonfassaden vieler brutalistischer Gebäude sieht man häufig hölzerne Texturen. Diese entstehen durch die Verschalung beim Betongießen. Diese Texturen werden absichtlich unbehandelt präsentiert und geben dem Gebäude bei näherer Betrachtung eine kontrastierende natürliche und warme Wirkung. Auch die Zusammensetzung des Betons kann die Oberfläche einer Wand verändern. Abhängig von den beigefügten zusätzlichen Komponenten, wie z. B. Kies, Schotter, bis hin zu feinem Sand oder Splitt verändert sich die Oberfläche und Struktur der fertigen Betonelemente. Auch deren Dosierung, Verdichtung und Mischung, sogar der Transport kann das spätere Erscheinungsbild verändern. Wie bereits erwähnt geht es beim Brutalism nicht ausschließlich um reine Betonfassaden. Auch die Zurschaustellung anderer unbehandelter und reinen Materialien kann brutalistisch sein. James Stirling entwarf einige Gebäude, die aus roten Ziegeln bestehende Fassaden haben, wie z. B. die Faculty of History in Cambridge oder das Florey Building in Oxford. Die Ausstrahlungen dieser Gebäude, deren Masse und die Ehrlichkeit der verwendeten Materialien machen diese Gebäude brutalistisch.


4. Brutalistische haben eine soziale Vision

In den 1950er und 60er Jahren verhalf der wachsende Sozialstaat zusammen mit günstigen Strompreisen dem Brutalismus in Ländern wie Großbritannien zum Erfolg. Die neu geschaffene Wohnräume sollten den Wandel der sozialen Hierarchien widerspiegeln und jedem ein angenehmes Leben ermöglichen. Für viele stand der Brutalismus also auch für eine Vision eines sozialen Wohnkonzeptes.

Anders als es geplant worden ist, stehen vieler dieser Gebäude mittlerweile nicht mehr für ein positives soziales miteinander, sondern für das Gegenteil. Viele brutalistische Gebäude stehen für Kriminalität und soziale Ungleichheit. Dazu später mehr.


5. Brutalistische Gebäude sind Funktional

Neuer Wohnraum war nötig. Dieser Wohnraum sollte fortschrittliche Technologien und arbeitssparende Geräte enthalten. Jeder sollte von einer solchen Wohnung profitieren können. Das bereits erwähnte Apartment-Gebäude Unité d‘habitation von Le Corbusier sollte Geschäfte, Spielplätze, medizinische Einrichtungen und Bildungseinrichtungen enthalten und darüber hinaus einen Laufplatz auf dem Dach. Dieser Eindruck der Funktionalität sollte auch über das äußere des Gebäudes vermittelt werden, vor allem dadurch, dass willkürliche Dekorationen weggelassen wurden.


Die Meinungen über den brutalistischen Architekturstil gehen weit auseinander. Während die einen ihn als eine architektonische Revolution im Kopf behalten haben und diesen Stil lieben, wird dieser Teil der architektonischen Geschichte als eine geistige, intellektuelle und moralische Missbildung bezeichnet.


Entweder man verabscheut es ...

Viele der revolutionären Charakteristiken brutalistischer Gebäude begannen sich über die Jahre zu verändern. Aus positiv gemeinten sozialen Begegnungsstätten wie Spiel- und Aufenthaltsplätzen wurden Orte, an denen Menschen lauern und herumlungern. Auch viele der schlecht einsehbaren Ecken oder dunkele Orte, die teilweise durch die Architektur des Gebäudes entstanden sind, wurden von Menschen und Bewohnern teilweise als gefährlich eingestuft, wodurch die brutalistische Architektur repräsentativ für Gewalt und Bedrohung stand. Durch diese Prägung mieden Menschen diese Orte zusätzlich, was die Situation weiter verschlechterte. „This was an architecture out of control“ (Reading 2018).

Nicht nur die Überlegungen und Gedanken über theoretische vorteilhafte Eigenschaften, die diese Architektur haben sollte, rückte in ein immer schlechteres Licht, auch die Gebäude selber überstanden und überstehen Zeit, Wetter und andere Umwelteinflüsse nicht gut. Durch immer wechselnde Wetterverhältnisse kann es passieren, dass Beton aufplatzt, der Stahl an manchen Stellen freigelegt wird, dieser anfängt zu rosten und sich dadurch dunkele Streifen an den Fassaden bilden. Gerade „brutalistische“ Gebäude die kostengünstig gebaut wurden waren dafür anfällig. Durch zu geringes Budget für Wartungen begannen die Gebäude bald auseinander zu fallen und unschön auszusehen.

„I spoke of the horrors of Le Corbusier’s favorite material, reinforced concrete, which does not age gracefully but instead crumbles, stains, and decays. A single one of his buildings, or one inspired by him, could ruin the harmony of an entire townscape, I insisted. A Corbusian building is incompatible with anything except itself.“ (Dalrymple 2009).

Die bereits erwähnten dunklen und schlecht einsehbaren Ecken boten ideale Bedingungen für Graffitisprüher, die ihre Graffitis an den Gebäuden verteilten. Unterstützt wurde das Ganze durch die üblichen großen und glatten Flächen.

Auch das Wetter beeinflusst, ob ein brutalistisches Bauwerk als optisch ansprechend oder als optisch nicht ansprechend empfunden wird. In Ländern mit kälteren klimatischen Wetterverhältnissen wirkt ein brutalistisches Gebäude an einem regnerischen Tag schnell unbehaglich und wenig bewundernswert. Die grauen Betonfassaden verschmelzen mit dem Grau der Wolken, wodurch ein solches Gebäude noch kälter wirkt als ohnehin schon.

Inzwischen werden viele brutalistische Gebäude abgerissen oder müssen vor dem Abriss geschützt werden. Aus diesem Grund bildete sich eine Kampagne namens #SOSBRUTALISM um brutalistische Gebäude vor dem Abriss zu schützen. Im Rahmen dessen organisierte das Deutsche Architekturmuseum (DAM) und die Wüstenrot Stiftung eine Ausstellung über den Brutalism im DAM in Frankfurt am Main, welche vom 9. November 2017 bis zum 2. April 2018 statt gefunden und 47,000 Besucher angelockt hat.


... oder man liebt es.

Generell stieg das Ansehen in der Öffentlichkeit gegenüber brutalistischer Architektur ab Ende des 20. Jahrhunderts wieder an. Dieses Ansehen drückt sich unter anderem in Büchern oder online in Form von Fotos und Artikeln aus. Durch Fotos lässt sich die Ästhetik von sonst sehr beunruhigend aussehenden brutalistischen Gebäuden sicher betrachten. Hinzu kommt, dass der Ausschnitt und die Wirkung der Fotos bewusst vom Fotografen gewählt wurde. Dadurch kann der Fotograf sowohl ein negatives als auch positives Gefühl beim Betrachter erzeugen. Durch besondere Perspektiven werden Details und Stimmung der Gebäude bewusst hervorgehoben.

Für viele steht der Brutalismus auch als ein Symbol für einen wohlwollenden Sozialstaat, für soziales Wohnen und die Ideale der Gleichheit. Gerade deswegen liegt vielen Menschen so viel an diesen Gebäuden. Der kreis beginnt sich zu schließen. Zuerst gelobt, dann misstraut, dann gehasst, vernachlässigt, verwahrlost, anschließend neu betrachtet und bewertet, gefeiert und in vielen Fällen rehabilitiert, jetzt werden die Gebäude oft geschätzt und gefeiert.

Statt brutalistische Gebäude abzureißen, gibt es auch die Möglichkeit des Renovierens. Einige brutalistische Gebäude wurden mit Erfolg renoviert. Beispielsweise das Park Hill in Sheffield welches 2004 renoviert und modernisiert wurde. Die mit Ziegeln gefüllten Rahmen wurden durch bunte Aluminiumplatten ersetzt und auch im inneren wurde einiges modernisiert und renoviert. Die Wohnungen wurden anschließend verkauft. Viele Gebäude, wie das Robin Hood Gardens von Alison and Peter Smithson wurden trotz (erfolgloser) Kampagne nach und nach abgerissen und durch ein neues Gebäude ersetzt.


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